Buchstabensuppe

Geräusche und Buchstaben

Geräusche sind ja so eine Art Vorform der Sprache. Quasi der Rohstoff, aus dem später Buchstaben geformt werden können. Aus den Buchstaben dann Worte. Aus den Worten komplexe Satzgebilde, die nur dank ausgefeilter Grammatiken in Zaum gehalten werden können.

Zurück zu den Geräuschen. Am Anfang herrschte Stille. Da war ja nichts, was irgendwie Geräusche machen konnte. Genau genommen war da überhaupt gar nichts. Dunkelheit, ja, aber eine Dunkelheit allein macht noch keine Geräusche. Dafür braucht es schon ein bisschen mehr.

Zum Beispiel einen Urknall. Der wird für so einiges verantwortlich gemacht. Auch für Geräusche. Steckt schon im Namen Ur... Knall. Der Knall ist damit die Mutter aller Geräusche. Mit so einem rohen Knall lässt sich noch nicht allzu viel anfangen. Der geht einem vielmehr nach einiger Zeit gehörig aufs Zahnfleisch. Auch der Riege der Götter muss der Knall ganz schön an den Nerven gezehrt haben. Sie haben in Folge so allerlei erschaffen, um den infernalischen Urlärm in geordnete, angenehmere Bahnen zu leiten. Wind zum Beispiel. Füttert man so einen kleinen Wind mit einem ordentlichen Brocken Knall, dann bekommt man ein angenehmes Pfeifen zurück. Oder auch ein weniger angenehmes Fauchen.

Feuer. Viele Götter haben auf die eine oder andere Weise mit Feuer experimentiert. Einer war gar so vorwitzig, das Feuer zu den Menschen zu bringen. Seinem Vater gefiel das so wenig, dass er sich so einiges einfallen ließ, um seinen Sohn eine ganze Reihe neuer, wenn auch eher unangenehmer Geräusche zu entlocken. Schmerzensschreie zum Beispiel. Oder Wehklagen. Das muss Musik in den Ohren urknallgepeinigter Götter gewesen sein.

Doch zurück zum Feuer. Die ersten Feuer mögen Nebenprodukte von Blitzen gewesen sein. Sie sind also mehr so auf die Erde geknallt, haben sich dann eines besseren besonnen und erfreuen uns seither mit einer ganzen Reihe angenehmer oder unangenehmer Geräusche. Wer freut sich denn nicht über das Prasseln des Lagerfeuers? Weniger freuen wir uns über das schrille Pfeiffen des Wasserkessels, weil das in den Ohren weh tut. Aber da kann das Feuer als solches nichts dafür. Das haben wir irgendwelchen garstigen Mitmenschen zu verdanken, die Wasser und Feuer missbrauchen, um Pein vor das Aufbrühen eines leckeren Tees zu setzen.

So konnte sich nach und nach eine ganze Palette unterschiedlicher entwickeln. Angenehme Geräusche, sinnvolle und weniger sinnvolle. Geräusche, die uns erfreuen und solche, die unser Missfallen hervorrufen. Für die Kommunikation indes waren diese Geräusche noch nicht so geeignet. Da musste noch ein bisschen Feinarbeit geleistet werden.

An verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten experimentierten Menschen damit, Geräusche in Bild- oder Buchstabenform zu packen. Das gelang mal besser, mal weniger gut. Bilder zum Beispiel haben sich als wenig praktikabel heraus gestellt. So hat man zum Beispiel im alten Ägypten die Bilder mitsamt der zugrundeliegenden Zivilisation in Pyramiden eingemauert und diese im Wüstensand verschwinden lassen.

Buchstaben haben sich hingegen als praktikabel erwiesen. Man hat sich zwar nicht auf einheitliche Buchstaben einigen können, es fällt jedoch leicht, Buchstaben des einen Alphabets mittels Geräusche in Buchstaben eines anderen Alphabets zu übertragen.

Wie das jetzt mit dem Urknall weiter geht, ob das ewig so weitergeht oder ob der irgendwann wieder verschwindet, verhallt, in sich zusammen fällt, das vermag niemand zu sagen. Viele Theorien, wenig Gewissheit. Insofern sollten wir mit den Geräuschen einigermaßen sorgsam umgehen. Nicht dass da im Universum noch einiges geboten ist, die Geräusche hingegen bereits aufgebraucht sind. Schaut euch doch einfach mal einen Kinofilm eurer Wahl an und macht den Ton weg. Ist blöd. Wirkt nicht so richtig. Selbst Stummfilme. Ohne Geräusche funktionieren die nicht. Metropolis ohne Musik? Da schläft das Publikum schon im ersten Akt.

Ob sich da die Götter schon Gedanken zu gemacht haben? Bei den Göttern gibt es ja so'ne und so'ne. Welche mit Weitsicht und solche, die lieber raufen und Schabernack treiben. Vielleicht gibt es eine Abteilung, wo sich die besonneneren zusammensetzen und die Buchstaben portionieren. Jeder Mensch bekommt dann so eine Portion mit auf den Weg. Mit der Portion muss er dann auskommen. Geht er in jungen Jahren zu verschwenderisch mit seinen Buchstaben um, wir es im Alter bei ihm ruhig. Wer hingegen hauszuhalten weiß, wird sich auch mit seinen Enkelkindern angeregt unterhalten können.

Stellt euch mal eine Buchstabennudelsuppe vor. Die allmächtige Kelle verteilt die Suppe mit den Nudeln - mal mehr, mal weniger - gerecht auf die Teller, die das Leben bedeuten. Voller Freude schöpft man nun aus dem Vollen. Präsentiert stolz komplizierte Satzgefüge, die man aus dem Inhalt eines Löffels zaubern kann. Stellt sich langsam das erste Sättigungsgefühl ein, erlahmt auch das Interesse an ausgefeilten Formulierungen. Man löffelt die Buchstaben ohne Sinn und Verstand in sich hinein. Erst spät merkt man, dass die Buchstaben immer spärlicher in der Brühe dümpeln. Man versucht aus den letzten Resten noch sinnvolles zusammen zu kratzen. Doch irgendwann ist der letzte Löffel gelöffelt und es wird stumm bei Tisch.

Sicher kann man seine Buchstaben auch aufsparen und vererben. Wer also wortkarge Eltern hatte, kann plappern, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Vielleicht lassen sich Buchstaben auch verschenken? Oder tauschen. Eine kleine Tüte Vokale gegen einen ganzen Eimer Konsonanten. Oder gar verkaufen. An der Buchstabenbörse. Wer nichts zu sagen hat, kann sein Schweigen zu Geld machen.

Ihr seht schon, die Geschichte der Geräusche und Buchstaben ist eine interessante und komplexe. Leider muss ich jetzt Schluss machen, habe gerade in meinen Buchstabentopf nachgesehen, da ist nicht mehr so viel drin...